Teilhabe ukrainischer Geflüchtete in Deutschland

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Seit dem 24. Februar 2022 sind mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Insgesamt ist von 6,54 Mio. Binnenvertriebenen in der Ukraine auszugehen. Nach einer aktuellen Studie nehmen viele ukrainische Geflüchtete inzwischen aktiv am Leben in Deutschland teil: 17 Prozent sind in Deutschland bereits erwerbstätig, die Hälfte besucht einen Sprachkurs, und 60 Prozent leben in einer eigenen Wohnung. Die geflüchteten Kinder besuchen Schulen und einige auch Kitas. Während die meisten ukrainischen Geflüchteten planen, nur zeitlich begrenzt in Deutschland zu bleiben, möchte ein Viertel gleichwohl dauerhaft hier leben. Diese Ergebnisse liefert die erste repräsentative Studie über die Lebenssituation von nach Deutschland Geflohenen, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) vorgelegt haben.

Zentrale Ergebnisse im Überblick:

  • Der ungewisse Kriegsverlauf und die rechtlichen Rahmenbedingungen prägen die Lebensbedingungen und Bleibeabsichten von geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern in Deutschland: 37 Prozent der Geflüchteten möchten für immer oder mehrere Jahre in Deutschland bleiben, 34 Prozent bis Kriegsende, 27 Prozent sind noch unentschieden und 2 Prozent planen, Deutschland innerhalb eines Jahres wieder zu verlassen.
  • Die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Geflüchteten sind Frauen (80 Prozent). Viele von ihnen sind ohne Partner (77 Prozent) nach Deutschland gekommen, 48 Prozent mit minderjährigen Kindern. 12 Prozent der Frauen sind mit Partner und minderjährigen Kindern nach Deutschland geflüchtet. Von den Männern leben 71 Prozent mit ihrer Partnerin in Deutschland.
  • Als häufigstes Motiv für die Wahl Deutschlands als Zielland nannten die Geflüchteten, dass bereits Familienangehörige, Freundinnen und Freunde oder Bekannte hier leben (60 Prozent).
  • Mit der Aktivierung der sogenannten „Richtlinie zum vorübergehenden Schutz“ durch die EU wurde schnell Planungssicherheit geschaffen. 76 Prozent der ukrainischen Geflüchteten haben nach dieser Richtlinie eine zunächst bis März 2024 befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, 18 Prozent eine Fiktionsbescheinigung, die bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausgestellt wird.
  • Verglichen mit der Gesamtbevölkerung ihres Herkunftslandes haben die Geflüchteten ein hohes Bildungsniveau: 72 Prozent verfügen über einen Hochschulabschluss.
  • Nur wenige Geflüchtete haben zum Befragungszeitpunkt gute Deutschkenntnisse (4 Prozent). Die Hälfte der Befragten besucht bereits einen Deutschkurs.
  • 74 Prozent der Befragten wohnen in einer privaten Unterkunft, nur 9 Prozent in einer Gemeinschaftsunterkunft.
  • Die Geflüchteten bewerten ihren Gesundheitszustand überwiegend als gut, ihre Lebenszufriedenheit ist im Vergleich zur deutschen Bevölkerung aber deutlich geringer. Auch das psychische Wohlbefinden geflüchteter Kinder fällt im Vergleich zu anderen in Deutschland lebenden Kindern niedrig aus.
  • 17 Prozent der Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter sind zum Befragungszeitpunkt erwerbstätig. 71 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten üben eine Tätigkeit aus, die einen Berufs- oder Hochschulabschluss voraussetzt.
  • Insbesondere Kinder, deren Eltern einen Sprachkurs besuchen oder einer Erwerbstätigkeit nachgehen, besuchen oft eine Kinderbetreuungseinrichtung. In Familien, in denen Geflüchtete mit einem Kind in Deutschland zusammenleben, haben 22 Prozent der Kinder unter drei Jahren und knapp 60 Prozent der Kinder im Kindergartenalter einen Kita-Platz.
  • In mehr als 90 Prozent der Familien mit Kindern im schulpflichtigen Alter besucht mindestens ein Kind eine Schule in Deutschland. In knapp einem Viertel dieser Familien wird auch der Online-Unterricht einer ukrainischen Schule genutzt. Der überwiegende Teil dieser – meist schon älteren – Kinder tut dies nur ergänzend zum Schulbesuch in Deutschland, knapp 3 Prozent nutzen ausschließlich ukrainischen Online-Unterricht.
  • Die Geflüchteten äußern Unterstützungsbedarf insbesondere beim Erlernen der deutschen Sprache, bei der Arbeitssuche, bei der medizinischen Versorgung und bei der Wohnungssuche.

Die IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung ist eine Längsschnittbefragung von ukrainischen Geflüchteten. Befragt wurden in der ersten Welle 11.225 ukrainische Staatsangehörige im Alter von 18 bis 70 Jahren, die vom 24. Februar 2022 bis zum 8. Juni 2022 nach Deutschland zugezogen sind und bei den Einwohnermeldeämtern registriert waren. Die Befragung wurde vom Befragungsinstitut infas zwischen August und Oktober 2022 durchgeführt. Der Fragebogen war auf Ukrainisch und Russisch verfügbar und konnte sowohl online als auch auf Papier ausgefüllt werden. Ab Januar 2023 wird eine zweite Welle der Befragung durchgeführt. Finanziert wird die Studie vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Anmerkung:

Mit Blick auf das hohe Bildungsniveau wäre es wichtig, die Möglichkeiten für die Teilhabe an Arbeitsmarkt, Bildungs- und Gesundheitssystem und Gesellschaft zu nutzen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die große Gruppe an Ukrainerinnen und Ukrainern, die länger oder dauerhaft in Deutschland bleiben möchten. Es scheint wesentlich bessere Möglichkeiten der Arbeitsmarktintegration als bei den Flüchtlingen aus den Jahren 2015/2016 zu geben. Wichtig ist vor allem, ausreichend Sprachkurse anzubieten und die Anerkennung der Berufsabschlüsse zu beschleunigen. Der Bund ist aufgerufen, die Sprachkurse auszuweiten. Gleichzeitig muss das BAMF den bürokratischen Aufwand für die Kursträger reduzieren und die Qualifikationsanforderungen an die Dozentinnen und Dozenten flexibler handhaben. Mit Blick auf die Kinder im Kita-Alter wäre es zwingend notwendig, dass der Bund das Programm der Sprachkitas nicht nur um ein halbes Jahr verlängert, sondern dauerhaft weiterfinanziert. Bei der Weiterentwicklung und dem Ausbau integrationsfördernder Angebote muss allerdings auch der Ungewissheit und Heterogenität der Bleibeabsichten Rechnung getragen werden.

27.01.2023